Ein Entführungsversuch Mittwochmorgen. Als Rick die Augen aufschlug, saß Greta neben ihm und betrachtete ihn. „Sitzt du schon lange so?”, fragte er. „Vielleicht eine halbe Stunde. Ich habe nachgedacht.” „Über uns?” „Ja.” „Ohne mich einzubeziehen?” „Man denkt in aller Regel alleine.” „Und das Ergebnis?” „Könntest du damit leben, dass ich es mir durchaus vorstellen könnte, länger hier zu bleiben? Sagen wir auf unbestimmte Zeit?” „Greta, du machst mich glücklich!” „Dann nimm dein Glück in beide Hände und halte es fest.” Rick hielt sein Glück lange fest… Doch um 10.00 Uhr hatte er mit Elsa einen Termin beim Notar. Das Haus, in dem er wohnte und das noch Elsa gehörte, sollte auf seinen Namen übertragen werden, und zwar aus steuerlichen Gründen. Greta begleitete ihn und beide waren sehr erstaunt, beim Notar auf „Elsa in Red” zu treffen. „Ich wollte sehen, ob meine Wirkung von Dauer ist”, meinte sie. „Aber ich glaube, es war ein Fehler.” „Wieso?”, fragte Rick. „Bis jetzt war ich der Meinung, dass nur Eulen ihren Kopf um mehr als einhundertachtzig Grad drehen können. In dieser Kanzlei gibt es einen jungen Anwalt, der es ebenfalls versucht. Ich fürchte um seinen Hals.” „Das ist eben die Wirkung von ‚Elsa in Red‘”, meinte Rick und alle mussten lachen. Dann wurden Elsa und Rick aufgerufen und dreißig Minuten später war Rick Hausbesitzer. Auf dem Rückweg wandte sich Elsa an Greta: „Hat er es dir gesagt?” „Ja.” „Was soll ich gesagt haben?”, fragte Rick nach. „Dass Elsa ganz offiziell deine Mutter ist”, erklärte Greta. „Das ist gut so”, bemerkte Elsa. Als sie von der Martinistraße in die Bergstraße einbogen, fing Elsa leise an zu fluchen: „Dieses Pflaster ist nichts für High Heels! Komm Rick, gib mir deinen Arm!” Sie waren ungefähr zwanzig Meter von Uschis Salon entfernt, als gegen jede Verkehrsvorschrift ein SUV aus der Fußgängerzone in die Bergstraße einbog und vor Uschis Salon hielt. Zwei maskierte Männer verließen den Wagen, stürzten in den Salon und kamen mit einer schreienden und um sich schlagenden Uschi zurück. „Die wollen Uschi entführen!”, schrie Rick und rannte los, dicht gefolgt von Greta und einer in High Heels trippelnden Elsa. Ein Mann hatte Uschi in den Wagen geschoben, der andere, der Fahrer, eilte vorne um den Wagen. Er kam aber nur bis zur Motorhaube. Dort wurde er von einer heranfliegenden Greta gestoppt. Ihr rechtes Knie traf seinen rechten Rippenbogen, was ein unangenehmes Geräusch zur Folge hatte. Einige Rippen waren wohl gebrochen. Diese Schmerzen empfand er jedoch nicht, da Gretas Ellbogen den Bruchteil einer Sekunde später seine Schädeldecke mit voller Kraft traf. Ein gurgelnder Laut, dann war hier Ruhe. Rick hatte sich, ohne zu überlegen, auf den zweiten Mann gestürzt. Er war wütend, sehr wütend sogar. Jemand hatte es gewagt, sich an seiner Uschi zu vergreifen. Diese Wut verspürte der Mann jetzt auf äußerst schmerzhafte Art und Weise. „Lass es gut sein!”, hörte er Greta sagen. „Der rührt sich doch kaum noch. Kümmere dich lieber um Uschi! Sie hat einen Schock.” Rick sah Greta fragend an. „Hast du wirklich geglaubt, mein Vater hätte ein schwaches, wehrloses Mädchen auf Deutschlandtour ziehen lassen?” Elsa war inzwischen am Ort des Geschehens angelangt. Gretas Gegner gab immer noch keinen Laut von sich, Ricks Gegner versuchte jedoch, den Oberkörper zu heben. Elsa setzte ihm ihren linken Schuh auf den Unterleib, der Absatz zielte auf seinen Schritt. „Bleib liegen, Junge, und rühr dich nicht! Sonst rutsche ich aus und dann ist es ein für alle Mal vorbei mit deiner Herrlichkeit.” Das war sehr ernst gemeint und der Mann hatte begriffen, er rührte sich nicht mehr. Greta hatte inzwischen ihrem Gegner den Gürtel aus der Hose gezogen und ihm damit die Arme auf den Rücken gefesselt. Und dann riss sie den beiden Gangstern die Maske vom Gesicht. „Sieh an, unsere ‚Freunde‘, die Eckensteher.” Rick hatte eine stark zitternde Uschi aus dem SUV geholt und hielt sie in seinen Armen. „Es ist gut Uschi”, versuchte er sie zu beruhigen. „Niemand tut dir etwas. Ich bin bei dir.” Aus dem Haus gegenüber rief jemand: „Ich habe die Polizei schon angerufen. Sie kommt sofort und der Notarzt auch.” Es dauerte nur wenige Minuten, dann erschien die Polizei mit zwei Fahrzeugen. Sie riegelte die Bergstraße von oben und unten ab und legten den Tätern Handschellen an. Kurz darauf stieg der Notarzt aus seinem Wagen und fragte: „Ist jemand verletzt?” Zur Überraschung aller fragte Rick: „Haben Sie vielleicht etwas Eis, um meine rechte Hand zu kühlen? Ich möchte heute Abend noch Gitarre spielen.” Jetzt fing sogar Uschi an zu lachen, klammerte sich jedoch weiter an Rick. Nun schilderten alle, was passiert war, und zur Überraschung der Polizei ergab sich ein übereinstimmendes Bild. Die beiden Täter hatte man noch nicht vernommen, den einen nicht, weil er noch schlummerte, den anderen nicht, weil er aus übergroßer Angst vor Elsas Absatz nichts sagte. Nachdem ihm die Handschellen angelegt worden waren, meinte er nur: „Ohne Anwalt sage ich nichts.” Der Notarzt hatte den anderen Entführer untersucht und konstatierte: „Wahrscheinlich vier gebrochene Rippen und eine Gehirnerschütterung. Junge Frau, wo lernt man so etwas?” „Am dänischen Gymnasium in Flensburg. Selbstverteidigungskurs für Mädchen, Fortgeschrittenenkurs, zweiter Teil.” Elsa ging auf Greta zu und fragte: „Wie machst du das Greta? Du schlägst einen erwachsenen Mann zusammen, stehst hier ganz ruhig und gibst der Polizei noch präzise Auskunft. Hattest du keine Angst?” „Um Rick? Nein. Du sagtest doch selbst, er sei sehr stark. Um mich? Mein Gegner hat doch gar nicht mit mir gerechnet. Und als mein Knie seine Rippen traf, war es für ihn sowieso zu spät. Aber so cool, wie ich aussehe, bin ich nicht, ein bisschen mulmig ist mir schon.” Inzwischen war auch die Kripo eingetroffen, ein Mann von Ende vierzig und eine junge Frau. Rick kannte ihn. „Hallo Gunnar! Schön, dass ihr auch auf der Bildfläche erscheint. Wir haben einiges zu bereden, denn Uschi Kaufmann sollte entführt werden. Das ist die junge Dame, die seit einigen Minuten versucht, mich zu erwürgen. Das ist – nimm es so, wie ich es sage – meine kleine Schwester. Und die entführt niemand! Dann ist da noch meine Freundin Greta Carlsson. Und die Dame daneben, das ist Elsa Tillmann.” Gunnar sah Elsa an, schluckte, verbeugte sich sehr förmlich und stellte sich vor: „Gestatten, Moormann, Gunnar Moormann, Hauptkommissar.” Da bekam er einen Stoß in die Seite. Es war seine junge Kollegin. „Gunnar, die Dame in Rot ist völlig unverdächtig. Ich gebe zwar zu, dass diese Dame einen Mann sehr beeindrucken kann, aber die beiden Gestalten, die unsere Kollegen festgenommen haben, dürften wenigstens im Augenblick auch für dich interessanter sein.” Gunnar Moormann riss sich von Elsas Anblick los und wandte sich seinen eigentlichen Dienstgeschäften zu. Greta stand jetzt neben Rick, der immer noch Uschi im Arm hielt, die sich an ihn klammerte. Er legte seinen freien Arm um Greta und sagte: „Alles ist gut. Uschi hat gerade noch Glück gehabt. Und wir ebenfalls. Es hätte auch böse ausgehen können.” In dem Moment kam der Notarzt noch einmal auf Rick zu: „Hier ist ein Kältespray für Ihre Hand. Und was machen wir mit der jungen Dame, die Sie nicht mehr loslassen will? Sie steht unter Schock. Ich befürchte, dass ihr Kreislauf nicht mehr lange mitmacht. Sie müsste eigentlich ins Krankenhaus.” „Nein, ich bleibe bei Rick”, bestimmte Uschi, die plötzlich begriffen hatte, dass über sie entschieden werden sollte. „Wo können wir Sie denn unterbringen?”, fragte der Arzt. „Bei mir auf der Scharnhorststraße”, antwortete Rick. „Kann sie dorthin transportiert werden?” „Das wird gehen. Wer kann uns begleiten?” „Ich!”, entschied Elsa und ging mit Uschi zum Notarztwagen. Der Notarzt fuhr mit Elsa und Uschi zu Ricks Wohnung, in der Elsa als Krankenschwester zurückblieb. „Es wird nun aber Zeit für eine Unterhaltung”, drängte Gunnar Moormann. „Entschuldigung, ich habe vergessen, meine Kollegin vorzustellen: Sandra Kampeter, Kriminalkommissarin.” Moormann wandte sich nun direkt an Rick: „Du hättest mich auch vorwarnen können. Deine Elsa haut einen ja mit einem einzigen Blick um.” „Und das schaffe ich nicht, Gunnar?”, fragte seine Kollegin ein wenig schelmisch. „Sandra, du bist vierundzwanzig, ich bin achtundvierzig.” „Ich weiß. Aber das ist kein Hinderungsgrund. Dir fehlt nur der Mut!”, lachte sie. „Gunnar, wenn du den nötigen Mut hast, dann kannst du gelegentlich bei Elsa anklopfen. Aber ich warne dich. Sie ist anders als andere”, erklärte Rick. „Lasst uns jetzt über den Entführungsversuch reden”, lenkte Moormann ab. „Wo können wir ungestört miteinander sprechen?” „Hier oben in Uschis Wohnung”, antwortete Rick. „Ich habe einen Schlüssel zur Wohnung.” Moormann sah zunächst Rick und dann Greta verständnislos an. Greta erklärte: „Das ist schon in Ordnung. Auch ich habe das nicht auf Anhieb verstanden. Aber die beiden sind wie Bruder und Schwester, nicht mehr und nicht weniger. Nur eben mit einem ungeheuren Zusammengehörigkeitsgefühl.” Die beiden Angestellten von Uschi waren schon längst in den Salon zurückgekehrt und bedienten ihre Kundinnen. Gesprächsstoff hatten sie ja genug.
Leseprobe Bildersturm - Dresden 1989
Claude LeRouge Willkommen auf der Autorenhomepage  von
Ein Entführungsversuch Mittwochmorgen. Als Rick die Augen aufschlug, saß Greta neben ihm und betrachtete ihn. „Sitzt du schon lange so?”, fragte er. „Vielleicht eine halbe Stunde. Ich habe nachgedacht.” „Über uns?” „Ja.” „Ohne mich einzubeziehen?” „Man denkt in aller Regel alleine.” „Und das Ergebnis?” „Könntest du damit leben, dass ich es mir durchaus vorstellen könnte, länger hier zu bleiben? Sagen wir auf unbestimmte Zeit?” „Greta, du machst mich glücklich!” „Dann nimm dein Glück in beide Hände und halte es fest.” Rick hielt sein Glück lange fest… Doch um 10.00 Uhr hatte er mit Elsa einen Termin beim Notar. Das Haus, in dem er wohnte und das noch Elsa gehörte, sollte auf seinen Namen übertragen werden, und zwar aus steuerlichen Gründen. Greta begleitete ihn und beide waren sehr erstaunt, beim Notar auf „Elsa in Red” zu treffen. „Ich wollte sehen, ob meine Wirkung von Dauer ist”, meinte sie. „Aber ich glaube, es war ein Fehler.” „Wieso?”, fragte Rick. „Bis jetzt war ich der Meinung, dass nur Eulen ihren Kopf um mehr als einhundertachtzig Grad drehen können. In dieser Kanzlei gibt es einen jungen Anwalt, der es ebenfalls versucht. Ich fürchte um seinen Hals.” „Das ist eben die Wirkung von ‚Elsa in Red‘”, meinte Rick und alle mussten lachen. Dann wurden Elsa und Rick aufgerufen und dreißig Minuten später war Rick Hausbesitzer. Auf dem Rückweg wandte sich Elsa an Greta: „Hat er es dir gesagt?” „Ja.” „Was soll ich gesagt haben?”, fragte Rick nach. „Dass Elsa ganz offiziell deine Mutter ist”, erklärte Greta. „Das ist gut so”, bemerkte Elsa. Als sie von der Martinistraße in die Bergstraße einbogen, fing Elsa leise an zu fluchen: „Dieses Pflaster ist nichts für High Heels! Komm Rick, gib mir deinen Arm!” Sie waren ungefähr zwanzig Meter von Uschis Salon entfernt, als gegen jede Verkehrsvorschrift ein SUV aus der Fußgängerzone in die Bergstraße einbog und vor Uschis Salon hielt. Zwei maskierte Männer verließen den Wagen, stürzten in den Salon und kamen mit einer schreienden und um sich schlagenden Uschi zurück. „Die wollen Uschi entführen!”, schrie Rick und rannte los, dicht gefolgt von Greta und einer in High Heels trippelnden Elsa. Ein Mann hatte Uschi in den Wagen geschoben, der andere, der Fahrer, eilte vorne um den Wagen. Er kam aber nur bis zur Motorhaube. Dort wurde er von einer heranfliegenden Greta gestoppt. Ihr rechtes Knie traf seinen rechten Rippenbogen, was ein unangenehmes Geräusch zur Folge hatte. Einige Rippen waren wohl gebrochen. Diese Schmerzen empfand er jedoch nicht, da Gretas Ellbogen den Bruchteil einer Sekunde später seine Schädeldecke mit voller Kraft traf. Ein gurgelnder Laut, dann war hier Ruhe. Rick hatte sich, ohne zu überlegen, auf den zweiten Mann gestürzt. Er war wütend, sehr wütend sogar. Jemand hatte es gewagt, sich an seiner Uschi zu vergreifen. Diese Wut verspürte der Mann jetzt auf äußerst schmerzhafte Art und Weise. „Lass es gut sein!”, hörte er Greta sagen. „Der rührt sich doch kaum noch. Kümmere dich lieber um Uschi! Sie hat einen Schock.” Rick sah Greta fragend an. „Hast du wirklich geglaubt, mein Vater hätte ein schwaches, wehrloses Mädchen auf Deutschlandtour ziehen lassen?” Elsa war inzwischen am Ort des Geschehens angelangt. Gretas Gegner gab immer noch keinen Laut von sich, Ricks Gegner versuchte jedoch, den Oberkörper zu heben. Elsa setzte ihm ihren linken Schuh auf den Unterleib, der Absatz zielte auf seinen Schritt. „Bleib liegen, Junge, und rühr dich nicht! Sonst rutsche ich aus und dann ist es ein für alle Mal vorbei mit deiner Herrlichkeit.” Das war sehr ernst gemeint und der Mann hatte begriffen, er rührte sich nicht mehr. Greta hatte inzwischen ihrem Gegner den Gürtel aus der Hose gezogen und ihm damit die Arme auf den Rücken gefesselt. Und dann riss sie den beiden Gangstern die Maske vom Gesicht. „Sieh an, unsere ‚Freunde‘, die Eckensteher.” Rick hatte eine stark zitternde Uschi aus dem SUV geholt und hielt sie in seinen Armen. „Es ist gut Uschi”, versuchte er sie zu beruhigen. „Niemand tut dir etwas. Ich bin bei dir.” Aus dem Haus gegenüber rief jemand: „Ich habe die Polizei schon angerufen. Sie kommt sofort und der Notarzt auch.” Es dauerte nur wenige Minuten, dann erschien die Polizei mit zwei Fahrzeugen. Sie riegelte die Bergstraße von oben und unten ab und legten den Tätern Handschellen an. Kurz darauf stieg der Notarzt aus seinem Wagen und fragte: „Ist jemand verletzt?” Zur Überraschung aller fragte Rick: „Haben Sie vielleicht etwas Eis, um meine rechte Hand zu kühlen? Ich möchte heute Abend noch Gitarre spielen.” Jetzt fing sogar Uschi an zu lachen, klammerte sich jedoch weiter an Rick. Nun schilderten alle, was passiert war, und zur Überraschung der Polizei ergab sich ein übereinstimmendes Bild. Die beiden Täter hatte man noch nicht vernommen, den einen nicht, weil er noch schlummerte, den anderen nicht, weil er aus übergroßer Angst vor Elsas Absatz nichts sagte. Nachdem ihm die Handschellen angelegt worden waren, meinte er nur: „Ohne Anwalt sage ich nichts.” Der Notarzt hatte den anderen Entführer untersucht und konstatierte: „Wahrscheinlich vier gebrochene Rippen und eine Gehirnerschütterung. Junge Frau, wo lernt man so etwas?” „Am dänischen Gymnasium in Flensburg. Selbstverteidigungskurs für Mädchen, Fortgeschrittenenkurs, zweiter Teil.” Elsa ging auf Greta zu und fragte: „Wie machst du das Greta? Du schlägst einen erwachsenen Mann zusammen, stehst hier ganz ruhig und gibst der Polizei noch präzise Auskunft. Hattest du keine Angst?” „Um Rick? Nein. Du sagtest doch selbst, er sei sehr stark. Um mich? Mein Gegner hat doch gar nicht mit mir gerechnet. Und als mein Knie seine Rippen traf, war es für ihn sowieso zu spät. Aber so cool, wie ich aussehe, bin ich nicht, ein bisschen mulmig ist mir schon.” Inzwischen war auch die Kripo eingetroffen, ein Mann von Ende vierzig und eine junge Frau. Rick kannte ihn. „Hallo Gunnar! Schön, dass ihr auch auf der Bildfläche erscheint. Wir haben einiges zu bereden, denn Uschi Kaufmann sollte entführt werden. Das ist die junge Dame, die seit einigen Minuten versucht, mich zu erwürgen. Das ist – nimm es so, wie ich es sage – meine kleine Schwester. Und die entführt niemand! Dann ist da noch meine Freundin Greta Carlsson. Und die Dame daneben, das ist Elsa Tillmann.” Gunnar sah Elsa an, schluckte, verbeugte sich sehr förmlich und stellte sich vor: „Gestatten, Moormann, Gunnar Moormann, Hauptkommissar.” Da bekam er einen Stoß in die Seite. Es war seine junge Kollegin. „Gunnar, die Dame in Rot ist völlig unverdächtig. Ich gebe zwar zu, dass diese Dame einen Mann sehr beeindrucken kann, aber die beiden Gestalten, die unsere Kollegen festgenommen haben, dürften wenigstens im Augenblick auch für dich interessanter sein.” Gunnar Moormann riss sich von Elsas Anblick los und wandte sich seinen eigentlichen Dienstgeschäften zu. Greta stand jetzt neben Rick, der immer noch Uschi im Arm hielt, die sich an ihn klammerte. Er legte seinen freien Arm um Greta und sagte: „Alles ist gut. Uschi hat gerade noch Glück gehabt. Und wir ebenfalls. Es hätte auch böse ausgehen können.” In dem Moment kam der Notarzt noch einmal auf Rick zu: „Hier ist ein Kältespray für Ihre Hand. Und was machen wir mit der jungen Dame, die Sie nicht mehr loslassen will? Sie steht unter Schock. Ich befürchte, dass ihr Kreislauf nicht mehr lange mitmacht. Sie müsste eigentlich ins Krankenhaus.” „Nein, ich bleibe bei Rick”, bestimmte Uschi, die plötzlich begriffen hatte, dass über sie entschieden werden sollte. „Wo können wir Sie denn unterbringen?”, fragte der Arzt. „Bei mir auf der Scharnhorststraße”, antwortete Rick. „Kann sie dorthin transportiert werden?” „Das wird gehen. Wer kann uns begleiten?” „Ich!”, entschied Elsa und ging mit Uschi zum Notarztwagen. Der Notarzt fuhr mit Elsa und Uschi zu Ricks Wohnung, in der Elsa als Krankenschwester zurückblieb. „Es wird nun aber Zeit für eine Unterhaltung”, drängte Gunnar Moormann. „Entschuldigung, ich habe vergessen, meine Kollegin vorzustellen: Sandra Kampeter, Kriminalkommissarin.” Moormann wandte sich nun direkt an Rick: „Du hättest mich auch vorwarnen können. Deine Elsa haut einen ja mit einem einzigen Blick um.” „Und das schaffe ich nicht, Gunnar?”, fragte seine Kollegin ein wenig schelmisch. „Sandra, du bist vierundzwanzig, ich bin achtundvierzig.” „Ich weiß. Aber das ist kein Hinderungsgrund. Dir fehlt nur der Mut!”, lachte sie. „Gunnar, wenn du den nötigen Mut hast, dann kannst du gelegentlich bei Elsa anklopfen. Aber ich warne dich. Sie ist anders als andere”, erklärte Rick. „Lasst uns jetzt über den Entführungsversuch reden”, lenkte Moormann ab. „Wo können wir ungestört miteinander sprechen?” „Hier oben in Uschis Wohnung”, antwortete Rick. „Ich habe einen Schlüssel zur Wohnung.” Moormann sah zunächst Rick und dann Greta verständnislos an. Greta erklärte: „Das ist schon in Ordnung. Auch ich habe das nicht auf Anhieb verstanden. Aber die beiden sind wie Bruder und Schwester, nicht mehr und nicht weniger. Nur eben mit einem ungeheuren Zusammengehörigkeitsgefühl.” Die beiden Angestellten von Uschi waren schon längst in den Salon zurückgekehrt und bedienten ihre Kundinnen. Gesprächsstoff hatten sie ja genug.
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